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Die ehrenamtlichen Lebensretter

 

Gemeinsam mit Freunden hat ein junger Feuerwehrmann Strohballen angezündet. Freiwillige Feuerwehrleute fürchten jetzt um ihren Ruf. Dabei sind die Zeiten schon schwierig genug.

Die Nachricht traf Regionsbrandmeister Bernd Keitel hart. Mindestens einer der mutmaßlichen Brandstifter, die in diesem Sommer in Lehrte, Sehnde und Uetze Hunderte Strohballen anzündeten, ist Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr. Keitel kann darüber nur den Kopf schütteln. Gerade ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr wisse doch um die unkalkulierbare Gefahr, sagt er. Gerade ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr wisse doch, welche Strapazen solche Einsätze für die ehrenamtlichen Helfer bedeuten. Das flächendeckende Netz von freiwilligen Feuerwehren in Deutschland gilt weltweit als vorbildlich. Allein in der Region Hannover sind 8800 Frauen und Männer dabei, davon rund 670 in den 17 freiwilligen Feuerwehren im Stadtgebiet Hannover. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sind sie bereit, alles andere stehen und liegen zu lassen und zum Gerätehaus zu eilen. Sie löschen Brände und befreien verletzte Personen aus Unfallwracks. Mitunter bekommen die freiwilligen Feuerwehrleute Bilder zu sehen, die schwer zu ertragen sind und sich für immer in ihren Köpfen festsetzen. Um im Notfall handeln zu können, besuchen sie an Wochenenden Lehrgänge an der Feuerwehrschule und verzichten dafür auf ihre Freizeit. Freiwillige Feuerwehrleute nehmen das in Kauf. Sie wollen Menschenleben retten. Ehrenamtlich. Ein Brandstifter in den eigenen Reihen ist das Letzte, was sie gebrauchen können. „Das stellt uns alle in ein schlechtes Licht“, sagt Detlev Hilgert, Brandabschnittsleiter für den Bereich Burgdorf, Lehrte, Sehnde und Uetze. Ein negatives Bild in der Öffentlichkeit, verursacht durch die Fehltritte Einzelner, schadet den freiwilligen Feuerwehren in einer ohnehin schon schwierigen Zeit. Durch den demografischen Wandel gehen die Mitgliederzahlen drastisch zurück. Waren im Jahr 1990 noch rund 143000 Bürger in den niedersächsischen Ortsfeuerwehren aktiv, sind inzwischen nur noch knapp 130?000 aktive Mitglieder registriert. Manche Ortsfeuerwehren in der Region Hannover wissen kaum noch, wie alle vorgeschriebenen Posten besetzt werden sollen – Ortsbrandmeister, Gerätewart, Fahrzeugführer. Es fehlen Leute, die bereit sind, diese Aufgaben zu übernehmen – oder das zeitlich neben dem Beruf überhaupt einrichten können. Wenn Feuerwehrleute zum Täter werden, zündeln sie zumeist aus einem einzigen Grund: Sie legen große Feuer, um die Brände anschließend gemeinsam mit ihren Kameraden löschen zu können – und um dafür Anerkennung zu bekommen. „Das sind häufig Leute, die in der Gruppe überhaupt nicht auffallen, sie sind eher unscheinbar“, sagt Keitel. Durch ihre Leistungen bei der freiwilligen Feuerwehr erhielten sie plötzlich eine Gelegenheit, sich in den Vordergrund zu schieben und für ihr Engagement sogar befördert zu werden – erst zum Oberfeuerwehrmann, später zum Hauptfeuerwehrmann. „Es gibt Menschen, die meinen, die Uniform der freiwilligen Feuerwehr mache sie zu etwas Besonderem. Die fangen dann an, sich ständig bei Einsätzen hervorzutun“, sagt Keitel. So wurde beispielsweise im Jahr 2009 ein 18-jähriger Feuerwehrmann aus Burgdorf angeklagt, insgesamt elf Brände gelegt zu haben. Unter Tränen gestand er im Gerichtssaal, die Brandstiftungen aus „Lust am Einsatz“ begangen zu haben. „Die Feuerwehr, das war sein Leben“, erklärte seine Mutter damals als Zeugin. „Ich habe gedacht, das wird einmal ein richtig Guter“, sagte ein Kamerad aus. Im Fall der jungen Brandstifter, die in Lehrte, Sehnde und Uetze in mindestens zehn Fällen Strohballen anzündeten und in 30 weiteren Fällen Müllcontainer, Reifen und andere Gegenstände in Brand steckten, stellen sich die Dinge allerdings etwas anders dar. Zwar soll mindestens einer der fünf Hauptverdächtigen Mitglied einer freiwilligen Feuerwehr sein. Als Feuerwehrmann hervortun wollte er sich durch seine Taten aber offenbar nicht. Zumindest ist bisher nicht bekannt, dass er überhaupt bei den Löscharbeiten geholfen hätte. „Es sieht eher so aus, als sei da ein Dummer-Jungen-Streich völlig ausgeartet“, sagt Regionsbrandmeister Keitel. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen insgesamt 13 Personen, darunter Jugendliche und junge Erwachsene. Sie sollen die Taten in unterschiedlichen Zusammensetzungen begangen haben. In den vergangenen Monaten gingen zunächst Container und Gerümpel in Flammen auf. Aus „Langeweile“ hätten sie gezündet, gaben die drei mutmaßlichen Drahtzieher im Alter von 19, 20 und 22 Jahren gegenüber der Polizei zu Protokoll. In den Sommermonaten geriet die Sache dann völlig außer Kontrolle: An einem Abend im Juli entschieden sich die jungen Täter, ein richtiges Feuer zu legen, und steckten auf einem Feld in Lehrte-Ramhorst 42 Strohballen in Brand. In den folgenden Wochen sollten neun weitere Brände folgen und bis zu 300 Strohballen auf einmal in Flammen aufgehen. Seit dem vergangenen Wochenende sitzen die drei mutmaßlichen Drahtzieher in Untersuchungshaft. Zeugen aus dem Umfeld der drei berichteten der Polizei, die jungen Männer hätten damit geprahlt, trotz der Ermittlungen weitere Brandstiftungen begehen zu wollen. Anderen Berichten zufolge sollen die drei jungen Männer ein umfangreiches Geständnis abgelegt haben und vor allem eines tun, seitdem die Polizei am vergangenen Dienstag ihre Wohnungen durchsuchte: um ihre Zukunft bangen. In den Ortsfeuerwehren in der Region sollen die Brandstiftungen zum Anlass genommen werden, erneut darüber zu sprechen, dass Kameraden manchmal zu Tätern werden – aus welchen Gründen auch immer. Aber das sei verdammt schwierig, sagt Keitel. „Wer will sich schon anmaßen, eine Beschuldigung auszusprechen?“

 

Weitere Informationen

  • Quelle: HAZ, 14.09.2012
  • Von: Vivien-Marie Drews
Gelesen 758 mal Letzte Änderung am Dienstag, 19. Februar 2013 11:20
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